Falten und Furchen auf der Gemmi
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Die Anfrage, für ein Kunstprojekt am Gemmipass eine Flechtstruktur zu erstellen, kam via Therese Leutwyler herein. Sie passte genau zu unserer Vorstellung, ungewöhnliche Arbeiten an speziellen Orten zu flechten. Darum musste das Künstlerpaar Schilliger/Maly nicht lange auf eine Antwort warten. Es kam in der Folge zu einem Treffen in Langenthal bei Tony Bucheli, an dem uns erste Entwürfe vorgelegt wurden. Mit von der Partie war auch Simon Tschachtli, ein Grafiker aus Bern, mit dem die beiden schon länger zusammenarbeiten. Die Idee war, in dem Objekt die Alpenfalten im Umfeld des Standortes in Bezug zu Gesichtsfalten zu setzen. Der erste Entwurf sah noch wie ein Iglu aus, um den sich ein Faltenring spannte. Wir waren auch der Meinung, es sei ein freies Geflecht gewünscht wie bei Kugeln und ähnlichen Objekten.
Auf dieser Basis erstellten wir eine erste Kostenschätzung und hörten dann längere Zeit nichts mehr. - Bis nach fast einem Monat digitale Entwürfe hereinflatterten, welche dem heutigen Objekt sehr ähnlich waren. Diese viel komplexere Struktur basierte auf den Gesichtsfalten eines verstorbenen Freundes von Valerian und wurde aus einem Foto heraus generiert. Sie hatte im Vergleich zum ersten Entwurf ungefähr doppelt soviel Fläche . Es war also eine Sitzung nötig, an der sich die Vorstellungen wieder dem Budget annähern mussten. Das Objekt wurde deutlich verkleinert und man kam überein, die kleinen Elemente zu Hause vorzufertigen und nur den grossen "Tunnel" vor Ort zu flechten. Das bedeutete, dass dafür Tragekonstruktionen aus Armierungseisen hergestellt werden mussten. Da die Elemente in Langenthal geflochten werden sollten, vermittelte Tony Bucheli den Kontakt zum Bildhauer Hubert Bienek, welcher dazu die Erfahrung, den Platz und die Einrichtungen zur Verfügung hatte.
"Formbegleitend" war das Zauberwort, als wir schliesslich mit dem Flechten begannen. Das freie Geflecht war unterdessen in Ungnade gefallen und eine regelmässige Gitterstruktur gefordert, die sich an den Enden der Elemente verdichten sollte. Die leicht radial positionierten Querbögen gaben den Verlauf der Fitzen vor. Am Ende knoteten wir die Staken am Eisen fest und flochten mit den Abschnitten ein Zäunergeflecht, das wir mit einer letzten Fitze absicherten. Auf diese Weise erstellten wir die fünf Elemente bei Tony Bucheli in Langenthal zu dritt.
Simon Tschachtli hatte uns die Laufmeter Weiden, welche wir brauchen würden, am Computer errechnet. Wir nahmen die Zahl mit schmunzeln entgegen, schauten uns den Vorschlag aber doch näher an. Da wir wegen der Verjüngung der Weiden zur Spitze hin starke Überlappungen einberechnen und zudem bei den Fitzen immer zwei Weiden gleichzeitig verwenden mussten, rechneten wir die Weide nur für 2 m Länge, auch wenn wir mit 250 cm und längeren Weiden arbeiten würden. Wir zählten dann die Anzahl Weiden in einem 260 cm langen Bund und kamen so auf einen Weidenbedarf von 40 kg. Das konnte unmöglich stimmen. So entschlossen wir uns, für die Staken 50 kg 270 er Weiden zu kaufen und für die Fitzen die gleiche Menge 220 er. Wir weichten aber nur je 40 kg ein, da bei Bedarf vor dem Einsatz auf der Gemmi noch Weiden eingeweicht werden konnten. Nach der Aktion in Langenthal hatten wir etwa 34 kg davon verbraucht. Da Simon errechnet hatte, das der "Tunnel" in etwa die halbe Fläche des ganzen Objektes ausmache, gingen wir mit rund 12 kg Reserve recht entspannt auf die Gemmi.
Die Weiden waren uns, zusammen mit den fertigen Elementen und weiterem Material, vorausgereist und mit dem Helikopter auf die Baustelle geflogen, - immer schön in einen Plastik gewickelt. Da wir in dem Tunnel nicht zu dritt flechten konnten, kamen dort nur Bernard Verdet und Tony Bucheli zum Einsatz. Der Tunnel sollte von vier Bögen aus Armierungseisen gestützt werden. Damit diese in der Erde gut verankert werden rückte der Techniker des SAC an und bohrte die Löcher durch die dünne Humusschicht in den Untergrund, welcher offensichtlich aus Geröll bestand.
Die gestäbte Flechtarbeit in der grossen Dimension hatte auch einen Forschungsaspekt. Wir begannen mit drei flach in den Boden gesteckten Staken, welche in einem Zäunergeflecht umflochten und kontinuierlich mit weiteren Staken ergänzt wurden. Schon bald zeigte sich, dass der Zipfel ohne fortwährende Verankerung im Boden nicht zu biegen war. Wir liessen also die äussersten Staken dem Boden entlang verlaufend und steckten Anfang und Ende der Fitze gekreuzt über sie in den Boden.
Bei jedem Bogen berechneten wir, wieviele Staken wir auf dem Weg zum nächsten zusätzlich brauchen und steckten sie gleichmässig verteilt in den Boden. Vereinzelt mussten wir auch im Geflecht Staken zustecken, weil es schwierig war, die hängenden Staken auf den Seitenwänden in der Richtung zu halten.
Solange wir über das Geflecht langen konnten, weil es noch kurz und niedrig war, flochten wir aussen von links nach rechts. Irgend wann nutzten aber alle Streckübungen nichts mehr und wir mussten eine andere Lösung finden. Wir flochten nun innen und begannen auf der anderen Seite. Und als die Wand senkrecht wurde und es immer mühsamer wurde, die Steller oben zuhalten, flochten wir auf den Seitenwänden "im Duett": Einer stand innen, der andere aussen. Wir gaben einander die Flechtweiden durch und es war immer eine Hand frei um die Steller zu Positionieren. Oben durch konnte der Grössere allein flechten, während der Partner die nächste Fitze begann und auf der anderen Seite runter trat dann das Duett wieder in Aktion. Es war ein richtiger Krampf, aber hat unglaublich Spass gemacht.
Noch während wir am Flechten waren, haben unsere Partner begonnen, mit Stopfzopf, welcher aus Wolle von Gemmischafen hergestellt wurde, die nächste Ebene von "Falten und Furchen" quasi in die Flechtstruktur zu sticken. Das Muster wurde aus Fotos der schönsten Gesichtsfalten in den Altersheimen von Leuk und Kandersteg herausgearbeitet.
Auch der "Tunnel" wurde vorne mit den Staken am letzten Bogen festgeknotet. Mit den Abschnitten erstellten wir wie bei den Elementen ein Zäunergeflecht, das mit der letzten Fitze stabilisiert wurde, - genau wie bei den Elementen. Übrig blieben am Schluss 4 kg Weiden. Im Fussballstadion wäre ein Raunen durch die Ränge gegangen:-).
Was unbedingt gesagt werden muss:
Im ganzen Prozess herrschte ein grosser gegenseitiger Respekt.
Es gab sehr schöne Begegnungen mit Passanten. Einer hat den beiden Flechtern sogar zwei Bier (schön kühles Walliser Bier!) vom Hotel hochgeschleppt.
Im Hotel Schwarenbach waren wir sehr gut aufgehoben.
Und:
WIR HATTEN EINEN RIESENMASEL MIT DEM WETTER!
Passage
Artikel Walliser Bote
Partner:
Schilliger/Maly
Simon Tschachtli
Hubert Bienek